New (W)Ork – Fröhlicher ausbrennen in der schönen neuen Arbeitswelt?

20.03.2023 | Allgemein | 0 Kommentare

Der geschätzte Kollege Prof. Dr. Carsten C. Schermuly hyperventiliert gerade ein bisschen über das Thema New Work (1). Er ist frustriert, dass New Work krass zweckentfremdet wird und ich kann ihn gut verstehen. Einerseits. Andererseits ist aber auch an der Gegenthese was dran. Worum geht’s?

New Work McKinsey

Seit langem befasst Carsten sich mit New Work. Mittlerweile ist das Thema total hip und wird für alle möglichen wie unmöglichen Deutungen zweckentfremdet. Corona diente als zusätzlicher Brandbeschleuniger. New Work ist die nächste Sau der Managementmode, die durchs Dorf getrieben wird.

Das läuft nach dem üblichen Muster. Zunächst brauchts visionäre Erklärbärchen, die den Begriff in die Welt hinaustragen. Menschen wie Carsten oder meinetwegen, mit einer kleineren Tröte, auch mich. Dann übernehmen zunehmend mehr Menschen das hipper werdende Thema. Sie möchten halt mit ihren Angeboten auch mitspielen. Die Bedeutung überdehnt sich dadurch zu einer Zweckentfremdung. Googelt mal New Work Büromöbel, New Work Dresscode oder New Work McKinsey. Das ruft zunehmende Kritik auf den Plan. Irgendwann ist der Begriff verwässert, negativ besetzt und schlicht „out“.

Solch ein Prozess ist bitter für Leute, die sich in der Tiefe mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen. I feel you.

Der Ursprung von New Work

Aber so richtig nachvollziehbar ist das nur auf den ersten Blick. Nehmen wir den Begriff von New Work, frei nach dessen Schöpfer Frithjof Bergmann also „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“. Für Carsten Schermuly umfasst New Work „Praktiken zur Steigerung des Empowerment“, wobei er Empowerment definiert als Wahrnehmung von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss. Top.

Wenn wir das nur ein bisschen verändern, werden die Wurzeln der Überlegungen schnell klar. „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ ist Verhalten, welches durch inneren Antrieb entsteht. Spaß an der Sache. Intrinsische Motivation. Wie entsteht intrinsische Motivation? Durch die Wahrnehmung von Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit. Das ist die Selbstbestimmungstheorie von Ryan & Deci und die hat mehr als 50 Jahre auf dem Buckel.

Managementgurus sind Fluch und Segen

Gehen wir aber vielleicht nicht 50 Jahre zurück, sondern rund 30. Eine der zentralen Erkenntnisse der Selbstbestimmungstheorie hat der Managementguru Reinhard K. Sprenger damals für sich entdeckt, vereinfacht und in seinem Bestseller „Mythos Motivation“ verarbeitet. Die Originalquellen hat er dabei unzureichend zitiert, den Sachverhalt zwecks Storytelling verzerrt und die Ergebnisse so brutal vereinfacht, dass die Aussagen mit dem heutigen Kenntnisstand in Psychologie und Wirtschaftswissenschaften nicht übereinstimmen. Korrekt ist, dass intrinsische und extrinsische Quellen von Motivation sich tendentiell ergänzen (2). Das hätte Sprenger auch wissen können, denn es liegen mittlerweile mindestens 9 (!) Metaanalysen zu diesem Thema vor. Einige so alt wie das Buch von Sprenger (3), einige frischer. Bis heute behauptet er jedoch haarsträubenden Unsinn wie „Alles Motivieren ist Demotivieren“ (4) und trifft damit den Nerv vieler Fans. Populismus funktioniert halt auch in der Welt der Wirtschaft.

Aber, und das ist eine echte Leistung, die Grundidee des von Ryan & Deci erstmalig beschriebenen Korrumpierungseffekts hat Sprenger sehr gut in die Breite getragen: Ziele und Zielvereinbarungen als Form der extrinsischen Motivation sind nicht immer eine gute Idee. Im Gegenteil gehen damit sogar einige Gefahren und Risiken einher, die in der Wirtschaft nicht erkannt oder unterschätzt werden. Das war die erste bedeutende Popularisierung eines Aspekts der Selbstbestimmungstheorie in Deutschland und sie wirkt bis heute – stärker als angemessen wäre, aber das Thema ist sicherlich einen Gedanken wert und der Anstoß entpsrechend sinnvoll.

New Work ist alter Wein in neuen Schläuchen, aber…

Heute läuft es mit New Work läuft ganz ähnlich. Wenn wir die obige Definition von New Work neben die oldie, but goldie Selbstbestimmungstheorie legen, dann ist die Schnittmenge enorm.

Selbstbestimmungstheorie: Spaß an der Sache entsteht durch die Wahrnehmung von Autonomie, Kompetenz und Eingebundenheit.

New Work: Empowerment entsteht durch die Wahrnehmung von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss.

Klar kann man da Unterschiede finden, wenn man denn möchte. Aber ein bisschen spitzfindig wäre das schon oder? Wie gesagt: ich kann total verstehen, wenn man sich über die Verwässerung von Begrifflichkeiten aufregt. Aber New Work besteht seinerseits auf Bedeutungsverschiebungen eines älteren Konzepts. Auf der Homepage von Google Scholar steht nicht umsonst „Stand on the shoulders of giants.“ Insofern geht die heutige Kritik an der Sinnentstellung von New Work in meiner Wahrnehmung ein Stück weit ins Leere.

Psychologische Sicherheit, Grit und positive Psychologie als weitere Beispiele

Damit ist New Work keineswegs allein. Nehmen wir zum Beispiel die psychologische Sicherheit. Darum gab und gibt’s ja einen mega Hype. Amy Edmundson erzählt eine wirklich coole Story, dreht ebenso leicht wie clever an etablierten Konstrukten und ist zur richtigen Stelle am richtigen Ort. Bäääm! Wenn man „psychologische Sicherheit“ jedoch durch den Begriff „Vertrauen“ ersetzt, geht nur wenig verloren. Oder? Ich kann Unterschiede jedenfalls nur in Nuancen erkennen. Das ist aber gar nicht weiter schlimm. Vertrauen wird in einer zunehmend auf Kollaboration angewiesenen Welt immer wichtiger. Zugleich lockt man mit dem Thema niemanden mehr so richtig hinter dem Ofen hervor. Kennen wir schon, haben wir schon, machen wir schon. Seufz. Aber psychologische Sicherheit mit den Stories von Google (5) und aus dem Krankenhaus (6) aufbereitet in einem supercoolen Buch (7)? Yes, please!

Ähnlich war es vor ein paar Jahren mit Angela Duckworth und Grit (8). Den Unterschied zur Gewissenhaftigkeit muss man echt mit der Lupe suchen. Der Ted-Talk ist jedoch der Hammer (9) und die Popularisierung eines wichtigen Konstrukts der Persönlichkeitspsychologie war ein enormer Erfolg. Storytelling, Bedarf und Zeitpunkt passten super.

Oder nehmen wir die positive Psychologie. Ich kann wirklich nicht erkennen, wofür man in Anwesenheit der Arbeits- und Organisationspsychologie eine positive Psychologie braucht und habe das schon ausführlich begründet (10). Mittlerweile wird nun sogar schon höchst offiziell Yoga zur positiven Psychologie gezählt (11). Es ist echt crazy. Aber: Super Marketing, wunderbares Storytelling, breite Wirkung. Passt.

Die Welt geht nicht unter – sie ist groß genug für Alle

So richtig schlimm ist das alles nicht, denn häufig hält die grundsätzliche Idee irgendwann Einzug in die Realität von Organisationen. So auch bei New Work. Organisationen und deren maßgebliche Akteure verstehen, dass ein neues Menschenbild gefragt ist. Das hat Konsequenzen und die werden durchdekliniert.

Carsten Schermuly kritisiert, dass die ursprüngliche Bedeutung von New Work zunehmend missbraucht wird für die Ausbeutung von Menschen. Da gehe ich mit. Es ist wichtig und legitim, das anzusprechen. Allerdings glaube ich, dass solche Verdrehungen langfristig nicht funktionieren. Die Leute sind ja nicht doof. Wer den Weg zur New Work nur pro forma beschreitet und zweckentfremdend nutzt, wird höchstens kurzfristig damit erfolgreich sein.

Außerdem: Wird der Begriff New Work zweckentfremdet? Ja, schon. Aber New Work ist selbst eine Zweckentfremdung von älteren Konzepten. Daran ist nichts wirklich Schlechtes, denn erstens hilft ein neuer Betrachtungswinkel beim Finden neuer Lösungen. Zweitens isses gut für die Schärfung der Wahrnehmung. Und drittens ist die Welt groß genug für alle Ideen.

Festhalten lässt sich doch, dass die grundsätzliche Diskussion in eine gute, sinnvolle, richtige Richtung läuft. Und das finde ich gut. Oder?

Quellen

(1) https://newmanagement.haufe.de/organisation/vorabdruck-new-work-dystopia

(2) Cerasoli, C. P., Nicklin, J. M., & Ford, M. T. (2014). Intrinsic motivation and extrinsic incentives jointly predict performance: a 40-year meta-analysis. Psychological bulletin, 140(4), 980.

(3) Cameron, J., & Pierce, W. D. (1994). Reinforcement, reward, and intrinsic motivation: A meta-analysis. Review of Educational research, 64(3), 363-423.

(4) https://www.personal-schweiz.ch/experten-interviews/article/motivation-alles-…

(5) https://www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-ques…

(6) Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative science quarterly, 44(2), 350-383.

(7) https://fearlessorganization.com/the-fearless-organization

(8) Duckworth, A. L., Peterson, C., Matthews, M. D., & Kelly, D. R. (2007). Grit: perseverance and passion for long-term goals. Journal of personality and social psychology, 92(6), 1087.

(9) https://www.ted.com/talks/angela_lee_duckworth_grit_the_power_of_passion_and_…

(10) https://www.ralf-lanwehr.de/positive-psychologie-was-kann-daran-schon-negativ…

(11) Carr, A., Cullen, K., Keeney, C., Canning, C., Mooney, O., Chinseallaigh, E., & O’Dowd, A. (2021). Effectiveness of positive psychology interventions: a systematic review and meta-analysis. The Journal of Positive Psychology, 16(6), 749-769.

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