Putin, Orban und Trump – Die Lust am Autoritären und die Angst eines Fußballtrainers

04.04.2024 | Allgemein | 2 Kommentare

Also es gibt ja ein paar Fragen, die man sich angesichts der Weltlage durchaus stellen kann:

  • Warum kommen die ganzen üblen Despoten gerade jetzt auf?
  • Was macht eigentlich den Erfolg von Putin und co. aus?
  • Sind die neuen Strongmen ein männliches Phänomen?

Alleine das Handelsblatt widmete dem Thema kürzlich gleich drei Artikel. Da steht viel Wahres drin. Ein entscheidender Punkt fiel jedoch auch dort unter den Tisch oder wurde falsch dargestellt. Ich finde das total schade. In den letzten Jahren ist so wahnsinnig viel Forschung betrieben worden und neues Wissen entstanden. Das muss jetzt mal raus. Also! Gehen wir den drei obigen Fragen der Reihe nach auf den Grund. Und unterwegs klären wir, was Angela Merkel mit einem Bundesligatrainer verbindet.

Warum kommen die ganzen üblen Despoten gerade jetzt auf?

Das liegt vor allem an zwei Wahrnehmungen: wie gefährlich wirkt die Welt und wieviel kann ich persönlich ausrichten? Je gefährlicher die Welt erscheint und je weniger man ein Gefühl von Kontrolle hat, desto mehr wenden sich Menschen autoritären Ideen zu. Interessanter Weise ist diese autoritäre Neigung unabhängig vom links-rechts Schema.

Vermutlich sagt ihr jetzt: ach was, Ralf, das hab ich schon tausendfach gelesen oder sonst hab ichs mir gedacht. Okay. Passt. Etwas weniger bekannt ist vielleicht, dass autoritäre Führung in Krisen ziemlich gut funktioniert. Überhaupt gibt es in Krisenzeiten nur zwei effektive Führungsstile: autoritäre und charismatische Führung.

Nun hatte der große Soziologe Max Weber unfassbar viele geniale Ideen. Nur beim Charisma hat er es aus heutiger Sicht leider verbockt. Aufgrund seines fatalen Einflusses werden Charisma und autoritäre Impulse bis heute wild durcheinander geworfen. Das hat Auswirkungen bis tief in heutige Analysen hinein und führt zu heftigen Fehlverständnissen. Denn wenn man autoritäre und charismatische Führung vermischt, übersieht man diverse wichtige Facetten.

Autoritäre Führung mag nämlich zwar in Krisen eine super Sache sein. Die Leute wissen sehr schnell und klar, was sie tun sollen und handeln danach. Das gibt Sicherheit und wirkt wie ein Anker. Darin besteht auch die Gemeinsamkeit mit der charismatischen Führung.

Außerhalb von Krisen ist autoritäre Führung aber eine ziemliche Scheißidee. Die Leute fühlen sich drangsaliert, gedeckelt und nicht ernst genommen. Wir alle kennen vermutlich autoritäre Vorgesetzte und haben keinen Bock darauf. Oder? Genau.

Außerdem leben wir ja in einer sogenannten Multikrise. Die dauert auch noch ne ganze Weile an. Während singulären Einzelereignissen wie der Finanzkrise oder CoVid waren autoritäre Ansagen willkommen. Aber wenn eine Multikrise viele Gesichter hat und lange andauert: was passiert dann? Das weiß niemand mit Sicherheit. Meine Vermutung wäre, dass sich das autoritäre Moment von Führung auf mittlere Sicht verliert. Naja, das kann unseren Despoten ziemlich egal sein, denn bis dahin wurde der Staat ja im eigenen Sinne gegen Aufbegehren wetterfest gemacht. Das führt uns zu Frage 2.

Was macht eigentlich den Erfolg von Putin und co. aus?

Die neuen Autoritären signalisieren sehr offensiv das, was ihnen wichtig ist. Ihre Werte. Das tun sie entweder emotional oder symbolisch oder beides. Das nennt man Charisma.

Dabei gehen sie große Risiken ein. Das zeigt besonders starke Wirkung. Ein Teil davon ist beispielsweise das beständige Überhöhen der Opposition. Je stärker die Gegenseite dargestellt wird, desto mehr kostet der eigene Widerstand in den Augen der Geführten und desto bereitwilliger werden die Botschaften aufgenommen. Putin fordert den kompletten Westen heraus. Orban nimmt es mit der gesamten EU auf. Trump bekämpft nach eigener Aussage das politische Establishment, die korrupten Medien und die internationalen Partner.

Wir können sehr präzise beschreiben, warum die Signale von Putin und co. so krass verfangen. Doch warum tun sich die Leute so schwer, das nachzuvollziehen? Die Antwort lautet: Werte. Die Werte, die die neuen Autoritären senden, werden in Deutschland nur von einer Minderheit geteilt. Ein Donald Trump wirkt grotesk, plump und schlicht lächerlich. In Deutschland würden ihn nur 1% der Menschen zum Präsidenten wählen. Das ist in den USA ganz anders. Dort ist Obama ein Clown. Für die Hälfte.

Das Stichwort lautet „Wertekongruenz“. Zwar ist es durchaus so, dass charismatische Signale etwas in den Leuten bewirken. Sie erzeugen Resonanz und ein bisschen ziehen diese Signale uns auch mit. Wir messen diesen Signalen außerdem eine höhere Bedeutung bei. Doch wenn es sich um Werte handelt, die wir selbst so gar nicht teilen, dann verfängt Charisma nicht.

Das ist der Grund, weshalb es vielen Menschen so schwerfällt, an Putin, Trump und Orban irgendwas Positives zu erkennen. Wer ganz andere Dinge wichtig findet als diese Leute, wird abgestoßen. Und mit abnehmender eigener Empathie schwindet außerdem das Verständnis für Menschen mit abweichenden Wertvorstellungen. Es öffnen sich Gräben. Das wiederum kommt den Autoritären zugute, denn wir hatten es bereits: viel Feind, viel Ehr.

Sind die neuen Strongmen ein männliches Phänomen?

Fragen nach solchen Bedingungen (sogenannten „Moderationseffekten“) sind spannend. Drei weitere vielleicht zu diesem Themenkreis: Sind nur narzisstische Arschlöcher charismatisch? Benötigt Charisma eine besonders extrovertierte Persönlichkeit? Ist Charisma nur was für Bosse?  Praktischer Weise lautet die Antwort auf all diese Fragen: nein. Aber der Reihe nach.

Sind die neuen Strongmen ein männliches Phänomen? Die Antwort ist ein ziemlich offensichtliches „nein“. Männliches Charisma funktioniert zwar ein bisschen anders als weibliches (mehr dazu bei Interesse gerne später), aber Figuren wie Marine Le Pen, Alice Weidel und Giorgia Meloni sind lebender Beleg fürs Gegenteil. Die Welt war schon immer voll mit charismatischen Frauen. Die waren und sind halt weniger sichtbar. Das liegt aber nicht am mangelnden Charisma, sondern an der Unterdrückung der Frauen. Aktuelle Beispiele für charismatische Politikerinnen sind Katja Kallas, Alexandria Ocasio-Cortez oder Aung San Suu Kyi. Jacinda Ardern, Nancy Pelosi und Sanna Marin sind gerade erst abgetreten. Und historische Beispiele gibts ebenfalls zuhauf, egal zu welcher Zeit, fragt mal Mutter Theresa, Maggie Thatcher oder Kleopatra.

Sind nur narzisstische Arschlöcher charismatisch? Nein. Aber das hilft, weil Narzissten sich der vermeintlichen eigenen Qualitäten und Vorbildlichkeit „bewusster“ sind. Das ist Teil der Störung, hilft aber beim Senden. Daraus jedoch zu schließen, dass Charisma etwas Schlechtes sei: unangemessen. Ghandi wird niemand ernsthaft für einen Narzissten halten.

Benötigt Charisma eine besonders extrovertierte Persönlichkeit? Nein. Aber es hilft. Obama ist nen sehr introvertiertes Kerlchen und dennoch irre charismatisch. Geht doch.

Ist Charisma nur was für Bosse? Auch das stimmt nicht. Es ist ein totales Missverständnis, wenn Charisma mit „Strongmen“ oder „Great Men“ gleichgesetzt und insbesondere aus der Führung vertrieben wird.

Die fatale Angst vor Charisma

Menschen verstehen charismatische Botschaften schneller, besser und nachhaltiger.

Das ist offensichtlich auch außerhalb von Führung relevant. Charisma ist schlicht ein wahnsinnig nützliches Werkzeug, insbesondere in Zeiten von Krisen und Transformationen. Charisma ist der stärkste Prädiktor von Führungserfolg. Nachweislich. Vor allem kann man Charisma lernen.

Das ist in meinen Augen eine Riesenlücke in Personalauswahl- und entwicklung. Bei der Besetzung von Führungspositionen sollte man Charisma viel stärker gewichten als bislang, parallel aber Narzissmus kontrollieren. Viele im HR haben Angst vor narzisstischen Arschgeigen und blenden das Thema aus. Charisma ist häufig das Gegenteil von hip. Das ist irre kurz gesprungen, irgendwie verständlich und dennoch grundlegend falsch zugleich.

Ihr wollt besser verstanden werden? Dann kommuniziert charismatisch. Es gibt wirklich keinen Grund, uncharismatisch zu kommunizieren… Moment. Keinen Grund?

Zugabe

Keinen Grund? Einen gibt’s doch. Damit kommen wir zu Scholz und Merkel. Und zu einem Bundesligatrainer. Kostbare Signale und das Eingehen von Risiken haben nämlich auch Schattenseiten. Naja. Kosten und Risiko.

Durch charismatische Signale werden die eigenen Botschaften viel stärker beachtet. Das erzeugt mehr Fallhöhe. Wer uncharismatisch kommuniziert und Risiken minimiert, reduziert Fallhöhe. Fehler werden weniger scharf kommentiert. Menschen stoßen sich seltener an Ecken und Kanten.

Das war lange Jahre die Strategie von Angela Merkel. Nur einmal hat sich zu einer charismatischen Kommunikation hinreißen lassen. In der Flüchtlingskrise. Wir schaffen das! Wenn man Merkel in dem Zusammenhang analysiert, dann versteht man sie viel besser. Und Scholz tut es ihr gleich.

Im Sport gibt es bedingt durch die irre mediale Aufmerksamkeit auch Mischstrategien. Ich hatte einen Cheftrainer aus dem Profifußball im Coaching. Der wollte nach innen möglichst charismatisch und nach außen möglichst uncharismatisch auftreten. Das klingt erst einmal bescheuert, ergibt aber wahnsinnig viel Sinn. Auf die leistungssteigernden Effekte charismatischer Führung kannste nicht verzichten, wenn Du im Spitzensport erfolgreich sein möchtet. Zugleich wird dieser Erfolg von außen alleinig an Ergebnissen gemessen. Tritt ein Trainer nach außen charismatisch auf, dann erhöht sich die Fallhöhe. Das kann sich nur jemand leisten, der nur extrem selten Misserfolge zu verkraften hat. Viele Grüße an Jürgen Klopp.

Wie sieht es aus? Kommentare? Lobpreisungen? Ewige Verdammnis? Haut in die Tasten!

Literatur (in order of appearance)

Zwei Wahrnehmungen, die autoritäre Neigungen bedingen:

Torres-Vega, L. C., Ruiz, J., & Moya, M. (2021). Dangerous worldview and perceived sociopolitical control: Two mechanisms to understand trust in authoritarian political leaders in economically threatening contexts. Frontiers in psychology, 12, 603116.

Autoritäre und charismatische Führung am Beispiel von CoVid:

Garretsen, H., Stoker, J. I., Soudis, D., & Wendt, H. (2022). The pandemic that shocked managers across the world: The impact of the COVID-19 crisis on leadership behavior. The Leadership Quarterly, 101630.

Jensen, U. T., Rohner, D., Bornet, O., Carron, D., Garner, P., Loupi, D., & Antonakis, J. (2023). Combating COVID-19 with charisma: Evidence on governor speeches in the United States. The Leadership Quarterly, 34(6), 101702.

Wie signalisiert man eigentlich seine Werte und was hat das mit Charisma zu tun?

Bastardoz, N. (2020). Signaling charisma. In Routledge International Handbook of Charisma (pp. 313-323). Routledge.

Grabo, A., Spisak, B. R., & van Vugt, M. (2017). Charisma as signal: An evolutionary perspective on charismatic leadership. The Leadership Quarterly, 28(4), 473-485.

Spitzenposition und Wichtigkeit von Charisma bei der Vorhersage von Führungserfolg:

Hoffman, B. J., Woehr, D. J., Maldagen‐Youngjohn, R., & Lyons, B. D. (2011). Great man or great myth? A quantitative review of the relationship between individual differences and leader effectiveness. Journal of occupational and organizational psychology, 84(2), 347-381.

Nachweis der Erlernbarkeit von Charisma

Antonakis, J., Fenley, M., & Liechti, S. (2011). Can charisma be taught? Tests of two interventions. Academy of Management Learning & Education, 10(3), 374-396.

2 Kommentare

  1. Queen All

    Das in Führungsebenen gehäuft Narzissten zu finden sind, ist ja zwischenzeitlich allgemein bekannt. Darunter erlebe ich leider erschreckend wenig Charismatiker – ich würde manch obere Etage (egal ob Politik oder Unternehmen) eher als „eingebildeten Hühnerhaufen“ bezeichnen. Wie soll ohne klares Zielbild und mit schwammigen Ansagen Vertrauen in die Führung entstehen? Klar wenden sich die Leute dann lieber jemandem zu, der „weiß, wo´s lang geht“.
    Interessant fände ich die Frage, ob die Wertevorstellung in den besagten Ländern so anders ist oder nur das Bild, dass die Medien zeichnen. Auch hier ist man schon blind einem Despoten gefolgt…

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  2. Ralf Lanwehr

    Lol. Das ist natürlich ganz schlecht dann. Narzissten sind schlecht für Teams und Organisationen. Immerhin sind die aber meistens charismatisch. Wenn sogar das fehlt, wird es in der Tat extrem mühsam. Das glaube ich sofort 🙂

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