Warum New Work nicht funktioniert (Teil 1)

28.05.2020 | Allgemein | 0 Kommentare

Von WhatsApps, Laloux und Holacracy

Gestern schickte mir die höchst geschätzte Kollegin Steffi Krügl in einer WhatsApp die folgende, leicht genervt klingende Frage:

„Kennst Du ein vernünftiges Reifegradmodell für Organisationen, mit dem man gut reflektieren kann, wie agil man ist, ohne Agilität auf den Sockel des höchsten Grades der Evolution zu stellen?“

Die durchschimmernde Frustration kann ich gut nachvollziehen und musste sofort an Frederic Laloux denken. Laloux hat 2019 die Keynote auf der New Work Experience in der Elbphilharmonie gehalten. Großartiger Typ, großartige Veranstaltung, großartige Location. Wirklich. Aber der gute Laloux nutzt auch heute noch Beispiele aus seinem 2014 erschienenen Buch „Reinventing Organizations“ [1], für das er 2012 und 2013 recherchierte. Das ist doch merkwürdig oder? Der hat über ne halbe Million Bücher verkauft und zu hundertausenden Personen gesprochen. Wenn das Prinzip von Laloux so unfassbar gut funktioniert, weshalb gibt’s dann nicht reihenweise neue Beispiele? Seit 2012 muss doch irrsinnig viel passiert sein. Organisationen haben sich auf den Weg gemacht, Studien wurden durchgeführt, Daten gesammelt. Ist Laloux zu faul, um das alles zu integrieren? Sicherlich nicht. Woran liegt es dann? Und was hat der mit der WhatsApp zu tun? Geduld.

Nähern wir uns der Frage aus einem anderen Winkel. Seit einiger Zeit eiern Beratungsfirmen mit einem an Laloux angelehnten Konzept in der Gegend herum, dessen Kern schon ein bisschen älter ist. „Spiral Dynamics“ [2] soll angeblich evolutionäre Vorgänge der Bewusstseinsentwicklung des Menschen betrachten und sich toll auf Organisationen übertragen lassen. Drum herum gibt es lauter esoterisches Gefasel und visuelle Modelle mit vielen Farben und Formen. Was fehlt dabei und worin besteht die Parallele zu Laloux? Evidenz. Bei den wirtschaftsbezogenen Komponenten von Spiral Dynamics gibt es keinerlei haltbaren empirischen Nachweis abseits von enthusiastischem Kauderwelsch von irgendwelchen Beratungen in Büchern und Zeitschriften ohne wirksame Qualitätskontrolle. Null.

Dasselbe Problem besteht bei Holacracy [3]. Es gibt einen Grund, weshalb das Konzept beispielsweise bei Zappos nach hinten losgegangen ist. Nun existiert leider keine echte Empirie zu Holacracy. Insofern kann ich mich auf keine Fakten beziehen. Aber all die Firmen, mit denen ich gesprochen habe, sammelten niederschmetternde Erfahrungen mit dem Konzept.

Doch wie soll das auch anders sein? Da setzt sich irgendein „Genie“ hin, schreibt seine Überzeugungen zu einem griffigen Konzept zusammen und vermarktet das dann möglichst laut und plakativ. Unser Hirn wird in der Folge mit lauter Geschichten, Anekdoten und Herzerwärmendem zugekleistert.

Die Sehnsucht nach der schlüssigen Erklärung

Ich kann durchaus nachvollziehen, was an den toll vorgetragenen Visionen von Laloux, den griffigen Regeln von Holacracy und der inspirierenden Prosa rund um Spiral Dynamics so faszinierend ist – schließlich befasse ich mich intensiv mit visionär-charismatischen Ansätzen. Laloux, Holacracy und Spiral Dynamics machen diesbezüglich wahnsinnig viel richtig – genau wie ein Simon Sinek übrigens, der ebenfalls inhaltlich bestenfalls dünne Botschaften absolut brillant zu verpacken imstande ist.

Davon abgesehen kann ich der aktuell im Management verbreiteten Tendenz, esoterischen Heilslehren folgen zu wollen, jedoch wenig abgewinnen. Jeffrey Pfeffer von der Stanford University nennt solche Nebelkerzen „the Leadership Industry“ und führt in seinem bahnbrechenden Buch „Leadership BS“ [4] aus, woran es in den Bereichen Management und Leadership vor allem mangelt: einer Orientierung an den Fakten.

Die Emergenz von Wissen bei allen genannten Ansätzen folgt doch vollkommen offensichtlich eben nicht den Prozessen, die sie selbst so aggressiv propagieren. Da ist keine Rede von Schwarmintelligenz, von divergentem Austausch, von einer evolutionären Entwicklung des Gedankengebäudes. Stattdessen bekommen wir haufenweise „Great Man Theory“, im stillen Kämmerlein ausgebrütet und häufig sogar autoritär oder proprietär vermarktet.

Ich finde das alles auch deshalb bemerkenswert, weil die aus meiner Sicht wirklich tauglichen Plattformen der Genese neuen Wissens dabei weitgehend ignoriert werden. Es gibt doch Orte, an denen leidenschaftlich gestritten, ebenso detailliert wie ausgefuchst untersucht, gemeinschaftlich entwickelt, kritisch hinterfragt und immerwährend weitergedacht wird. Dieser Ort ist die Wissenschaft und die liefert uns auf all die Fragen, an denen Holacracy und co. vor Wände laufen, ganz viele Antworten. Man muss sich halt die Mühe machen und diese Antworten zusammentragen. Dass das nicht oder nur unzureichend geschieht, ist sicherlich ein massiver Fehler insbesondere der Wirtschaftswissenschaften. Es existiert ein massiver Disconnect.

Resultat dieser Entwicklung: An irgendeinem Punkt hat sich auch in Deutschland eine „Leadership Industry“ gebildet, deren hauptsächliche Beschäftigung darin besteht, andere Menschen zu „inspirieren“ ohne irgendetwas tatsächlich zu verändern. Die angebliche Inspiration verhallt im Nichts. Das ist wahnsinnig schade, weil es da draußen ja ganz tolle Konzepte gibt, die Unternehmen nachweislich helfen könnten.

Und genau darum kümmern wir uns im nächsten Teil dieser kleinen Serie. Denn nur Meckern nützt wenig. In Teil 2 skizziere ich, warum die hier genannten Ansätze so gut ankommen und welche theoretisch sinnvollen und zugleich empirisch hart abgesicherten Konzepte auf dem Weg in die Zukunft besser helfen als Bullshitbingo mit stylishen Farbpaletten. Stay tuned!

Literatur

[1] Laloux, F. (2014). Reinventing Organizations. Millis, MA: Nelson Parker.

[2] Beck, D. & Cowan, C. (2005). Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadership, and Change. Hoboken, NJ: Wiley.

[3] Robertson, B.J. (2015). Holacracy – The Revolutionary Management System that Abolishes Hierarchy. New York, NY: Penguin.

[4] Pfeffer, J. (2015). Leadership BS – Fixing Workplaces and Careers One Truth at a Time. New York, NY: Harper.

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