The Sound of Corona – Vertrauen, Virtualität und die Seuche

11.05.2020 | Allgemein | 1 Kommentar

Teamwork in Zeiten von Corona

Durch die zunehmende Virtualität ist es im Arbeitskontext erheblich schwieriger, ein persönliches und von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu anderen Menschen aufzubauen. In Zeiten von coronabedingter Isolation ist das natürlich besonders stark der Fall, aber die generelle Richtung wird sich auch in Zukunft kaum ändern: es wird zunehmend virtueller und die fehlende Bandbreite in der Kommunikation tut dem Beziehungsaufbau nicht gut. Vermutlich kennt Ihr das aus Euren Teams und Organisationen auch. Kleine Missverständnisse schleichen sich medienbedingt ein, die bei einem persönlichen Austausch sicherlich nicht aufgetaucht wären. Leute arbeiten virtuell aneinander vorbei, während das früher bereits beim gemeinsamen Gang zur Kaffeemaschine aufgefallen wäre. Man bekommt eine WhatsApp oder eine Mail in den falschen Hals und es entsteht ein emotionaler Konflikt, der „im echten Leben“ niemals entstanden wäre.

Deshalb sind Ideen gefragt, auch bei reduzierten Möglichkeiten ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und eine etwaige Kluft zu überbrücken.

Da kam ein brandneuer Artikel, der sich höchst wissenschaftlich mit Musik bei der Arbeit [1] beschäftigt, gerade recht. Ehrlicher Weise ist dieser Artikel ein wunderbares Beispiel dafür, dass die Spitzenforschung in den Wirtschaftswissenschaften bisweilen als anwendungsfern oder gar nutzlos gilt. Denn wenn ich wirklich wissen möchte, welche Art von Musik sinnvoller Weise bei der Arbeit laufen sollte, dann liefert mir eine intensive Lektüre dieses extrem komplexen Artikels keine befriedigende Antwort. Seufz. Deshalb hatte ich den Artikel vor einiger Zeit bei Twitter aufgrund des wirklich sehr originellen Themas abgefeiert, aber eine irgendwie sinnvolle Empfehlung wollte mir nicht so recht einfallen (Tweet). Dennoch: es wuchs ein zartes Pflänzchen heran.

Im Zuge einer Recherche zum sinnvollen Ausmaß des Zulassens von Privatheit bei Videokonferenzen stieß ich auf eine weitere spannende Quelle. Dort ging es um die Frage, ob etwaiges Wissen um private Hintergründe von Kolleg:innen sich positiv oder negativ auf die Beziehungsqualität und Arbeitsleistung auswirkt. Immerhin könnten ja solche Informationen auch zu einer Entfremdung führen. Tatsächlich ist aber überraschend durchgängig das Gegenteil der Fall. Wissen um private Details von Kolleg:innen führt zu einer besseren und wertschätzenderen Grundhaltung – und zwar unabhängig davon, wie sehr man die andere Person mag oder wie groß oder gering die Ähnlichkeiten nun ausfallen.

Vertrauen ist das Zulassen von Verletzlichkeit

Das passt bei Tageslicht betrachtet ziemlich gut zu dem, was wir über Vertrauen und die Entstehung von Vertrauen wissen. Vertrauen wird gemeinhin definiert als das Zulassen von Verletzlichkeit. Wenn ich anderen Personen Vertrauen entgegenbringe, steigt unser gemeinsames Vertrauen auch. Reziprozität ist da ein wichtiger Hebel. Misstrauen hingegen zerstört Vertrauen und lässt sich nur vergleichsweise schwierig und langwierig wieder aufbauen. Wenn nun also in einem Meeting via Zoom jemand mit laufender Kamera durch die Gegend läuft, dann ist das selbstredend ein Vertrauensbeweis. Da macht sich schließlich jemand im übertragenen Sinne nackig und stellt die Kamera eben nicht ab, sondern lässt andere Menschen ein Stück weit bei sich privat in die Wohnung. Das alleine hat bereits einen positiven Effekt. Hinzu kommt: wir sehen dann, dass die anderen Leute auch dreckiges Geschirr in der Küche haben und dass die Kids bei denen ebenfalls wie die Flummis durchs Bild hopsen. Das bringt uns einander näher und entkrampft den Umgang. Deshalb raten ja übrigens viele Leute auch davon ab, dass alle Teilnehmenden bei Videokonferenzen simultan Ton & Video abstellen. Dann fehlt nämlich die menschliche Nähe auf unangenehme Weise und das ist sehr irritierend. Und sollte wirklich mal jemand unfreiwillig nerven, dann wird die Person halt vorübergehend gemutet und in der Zwischenzeit via privater Kommunikation freundlich gecoacht.

Naja, und da dachte ich mir: warum nicht die beiden Aspekte der Musik und Privatheit in einem Detail verbinden und in positiver Weise nutzen? Deshalb entwickle ich seit diesem Semester gemeinsam mit den Studierenden kursbegleitende Soundtracks. Das läuft selbstredend eher so nebenher, ist Spielerei und lustiges Element. Ein gemeinsames Ausprobieren. Aber bislang finde ich den Ansatz zumindest vielversprechend und er ist zudem übertragbar auf die Welt außerhalb des Elfenbeinturms. Deshalb wirds hier geteilt.

Folgendermaßen setzen wir das um: zu jeder Session gibt es 5 Tracks. Jeweils 4 Studierende und ich schauen sich die kommende Session an. Wir suchen uns individuell Musikstücke heraus, die sich in irgendeiner Form mit den anstehenden Inhalten auseinandersetzen und zu denen man eine ehrliche, persönliche Bindung empfindet. Diese persönliche Note finde ich wie gesagt extrem wichtig und achte darauf, dass von mir entsprechende Lieder kommen. Lieder, mit denen man sich auch gut und gerne der Lächerlichkeit aussetzen kann. Lieder, die Verletzlichkeit und Privatheit in einem geeigneten Rahmen transportieren. Aber es sind halt letztlich auch „nur“ Lieder und das müsste für alle Beteiligten als Einstieg in die Selbstoffenbarung hoffentlich in Ordnung sein.

Zu Beginn jeder Session erzählen die 5 Leute nicht nur etwas dazu, warum der jeweilige Song ausgewählt wurde. Parallel wird kurz erläutert, was man mit dem jeweiligen Song verbindet und warum das der eigene Beitrag zum Soundtrack ist. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Es darf gerne wild und ungewöhnlich werden. Die Tracks sollen neben der auditiven auch eine visuelle Komponente haben und idealer Weise auf Youtube bereitstehen. Außerdem soll der Soundtrack bei der Nachbereitung helfen und dabei munter durchlaufen.

Eventuell könnte das auf Sicht auch eine gute Idee sein, um Präsenzveranstaltungen und Führungskräfteentwicklung in der Wirtschaft durch ein lustiges Element zu befruchten. Da muss dann noch ein bisschen Hirnschmalz kommen. Aber vielleicht habt Ihr ja auch großartige Ideen. Ich bin wirklich gespannt auf Eure Meinungen und Beiträge!!! Hier mein Beitrag zum aktuellen Soundtrack jeweils mit ein paar erläuternden Gedanken.

Title Track

Peter Licht – Lied vom Ende des Kapitalismus

Die Coronakrise wird gewaltige Umwälzungen mit sich bringen. Es ist auf sehr vielen Ebenen noch vollkommen unklar, wie die Zukunft konkret aussehen wird. Dazu scheint mir der Song von Peter Licht ausgezeichnet zu passen – gerade mit nem Augenzwinkern für einen Masterkurs in BWL.

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Session 01 What is OB?

Huun-Huur-Tu & The Bulgarian Voices – Lonely Bird

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In der ersten Sessions gibt’s einen Überblick, womit wir uns thematisch in den kommenden Monaten so beschäftigen werden. Dazu passt eher ein programmatischer Titel. Lonely Bird ist eine vom russischen Jazzer Mikhail Alperin initiierte und produzierte Koproduktion der mongolischen Obertonsänger von Huun-Huur-Tu mit den himmlischen Chören aus Bulgarien. Mein Lieblingslied daraus ist „Lonely Bird“. Ich finde, dass sich das Kursthema darin auf sehr vielen Ebene spiegelt. Individuum, Gruppe und Organisation, negative und positive Emotionalität, die Balance aus Stabilität und Flexibilität. Nunja, hörts Euch an. Sehr gewöhnungsbedürftig, aber ein Kracher.

Session 02 Attitudes & Job Satisfaction

Die Türen – Miete Strom Gas

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Der Kollege Hertzberg hat ja vor rund 50 Jahren festgestellt, dass ein paar Dinge vorhanden sein müssen, um schlechte Laune zu verhindern. Die sogenannten Hygienefaktoren. Miete, Strom, Gas beispielsweise. Das reicht noch lange nicht, um die Leute positiv mitzunehmen, aber Motivation und Führung folgen thematisch ja noch. Deshalb dieser Rohdiamant der Türen für Session 02.

Session 03 Emotion & Moods

The Happiness Song

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Der Track hier ist geklaut. Irgendwo hatte ich mal aufgeschnappt, dass der Kollege van Quaquebeke genau diesen Song auch in der Lehre einsetzt, um in das Thema positive Psychologie einzuführen. Toll. Der Song rappt sich erstaunlich stilsicher durch den Bestseller „The How Of Happiness„ von Sonja Lyubomirsky. Super Idee, ist gekauft für Session 03, selbst wenn es das Ding „nur“ auf Soundcloud und nicht auf YouTube gibt.

Session 04 Personality & Values

Material feat. William Burroughs – Words of Advice

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Wer könnte ein besseres Vorbild für eine stabile Persönlichkeit und die Vermittlung eines seriösen Wertesystems sein als die unvergleichlich brillianten William S. Burroughs und Bill Laswell? Da fällt einem nix mehr zu ein.

Session 05 Motivation

Erobique & Jacques Palminger – Wann Strahlst Du?

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In Session 5 schwingt ein bisschen Lokalkolorit mit. Karsten Meyer ist Erobique ist Münsteraner. In grauer Vorzeit hat Herr Erobique die hiesigen Tanzflächen mit Smashhits wie „Greven Love“ zum Beben gebracht und alleine deshalb wohne ich heute in der Grevener Straße. Die Session zur Motivation hatte aber so viele Contender, dass diese einzig logische und naheliegende Wahl getroffen wurde. Der Text ist toll und passt wunderbar zum Thema.

Session 06 Foundations of Group Behavior

John S. Hall & Kramer – Real Men

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Nunja, es geht in diesem Song im weitesten Sinne um Gruppenprozesse. Sowohl Kramer als auch der Herr mit dem blumigen Namen John S. Hall haben sich mit großartiger Musik in verschiedensten Konstellationen unsterblich gemacht. Diese kleine Perle hier hat eher wenig mit Musik, aber dafür viel mit dem Thema der Session zu tun!

Session 07 Leadership I: Classic Approaches

Mediengruppe Telekommander – Kommanda

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Machst Du auch was mit Medien? Die Telekommanders sicherlich. Und wenn wir uns die frühen Ansätze der Führung anschauen, dann ist die Great Man Theory ebenso präsent wie ein Sinn für die positiven Aspekte von autoritärer Führung. Kommanda. Kommt gut an bei den Massen.

Session 08 Leadership II: Charismatic Approaches

Elephant Man – Nu Linga

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Der hier kommt etwas um die Ecke. Die Herren Conger und Kanungo sind echte Giganten und haben vor gut 20 Jahren einen sehr wesentlichen Beitrag zur charismatischen Führung geleistet. Ich habe jahrelang fälschlicher Weise angenommen, dass die beiden aus Afrika kommen, und bei Erscheinen des Aufsatzes selbst im wunderschönen Inhambane gelebt. Eigentlich wollte ich nen mosambikanischen Song nehmen, der damals hip war. Gabs aber nicht. Nu Linga tut es aber auch, denn das ist seit ein paar Jahren dem Vernehmen nach ein Tanzflächenfeger in der alten Heimat.

Session 09 Leadership III: Recent Developments

Ry X – Howling (Âme Remix)

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Ry X könnte in dem Song sowas wie den Prototypen der modernen Führungskraft geben. Er ordnet sich dem größeren Ganzen unter, die Maschine läuft, wenns langweilig zu werden droht, kommt er dazu und gibt auf charismatische Weise ein bisschen Orientierung, räumt aufkommende Monotonie aus dem Weg, überlässt dann wieder den Leuten das Ruder. Hm. Auf den zweiten Blick ein bisschen konstruiert oder? Nundenn, so isses jetzt kommuniziert. War vermutlich ein Fehler, aber sowas gibt man ja heute als moderne Führungskraft zu. Ist schließlich u.a. vertrauensbildend.

Session 10 Power & Politics

Elvis – A Little Less Conversation (JXL Radio Edit Remix)

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Ups. Schon Session 10 und noch immer nix von Elvis? Kann ja gar nicht sein. Da müssen wir ran. Mikropolitik umfasst ja Aktivitäten, mit denen sich Menschen in Organisationen unabhängig von der eigentlichen Arbeit selbst etwas mehr Entscheidungshoheit, ergo vollkommen unwissenschaftlich hiermit Macht genannt, sichern wollen. Hätten sie doch besser den Mund gehalten! A little less conversation halt. Elvis sieht das genau richtig.

Session 11 Conflict & Negotiation

Spain – I´m still free

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Bei Verhandlungen geht es ja häufig um die Frage, wann das erste Angebot sinnvoller Weise platziert wird. Spain haben das für sich schon sehr früh beantwortet, indem sie einfach einen eigenen Sound begründet haben. Slow Core. Und dann geht’s in dem Song auch noch um Vertrauen, Spielraum und Zeug. Sichere Wette für Session 11 und die einzig logische Wahl.

Und jetzt kommt ihr – top oder flop?

Ich hoffe, ihr konntet ein paar Inspirationen und Ideen aus diesem Beitrag mitnehmen. Aktuell bin ich gerade dabei, „seriös“ abgewandelte Konzepte auch für Führungskräfteentwicklung in der Wirtschaft zu adaptieren. Deshalb: seid mal ehrlich bitte. Das ist work in progress. Findet Ihr das affig, hilfreich, originell oder bescheuert? Schießt los!

Auch interessieren mich Eure Musiktipps. Denn natürlich verbinden wir alle unterschiedliche Songs mit verschiedenen Thematiken und Situationen. Es gibt hier also kein richtig oder falsch! Welche Songs verbindest Du mit den einzelnen Inhalten? Vielleicht hast Du auch bereits eigene Erfahrungen mit gemeinsamen Soundtracks für Teams/Mitarbeiter gesammelt? Schreib Deine Ideen, Eindrücke, Tipps und Erfahrungen gerne in die Kommentare. Herzlich willkommen!

Quellen:

[1]: https://journals.aom.org/doi/epub/10.5465/amr.2016.0115

[2] https://journals.aom.org/doi/10.5465/AMBPP.2018.14989abstract




1 Kommentar

  1. Claudia

    What, keine Kommentare für dieses Gesamtkunstwerk! Ich finde es toll und mein Moto war schon immer: „Mit Musik geht alles besser!“
    Ich lache lauter, weine hemmungsloser und arbeite befreiter mit dem richtigen Song im Hintergrund. Warum also nicht eine Playlist für die Kollegen?!? Zum einen entdeckt man vielleicht eine Musikperle (Erobique & Jacques Palminger – Wann Strahlst Du?) zum anderen fühle ich während des Songs ganz viel vom Aussucher. Und das schafft keine Vorstellrunde oder Mini-Profilbild.
    Und jetzt zu meiner Auswahl:
    Titel Track: the the – This is the day
    Emotion / Mood: Jain – Makeba
    Führung von gestern: Bilderbuch – Maschin

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