Warum ausgerechnet Nervensägen und Meckerköppe wichtig sind

04.11.2021 | Allgemein | 0 Kommentare

Wir brauchen Nervensägen und Motzköppe im Job –  denn sie helfen, das Unternehmen zukunftsfest zu machen. Drei Erfolgstipps, wie wir konstruktiv auf der Arbeit mit ihnen streiten können.

Die Wünsche vom Management an die Belegschaft lauten häufig so: „Wir möchten proaktive Leute, die mutig sind, intelligente Fehler machen und unternehmerisch denken. Leider ist die Realität oft eine andere. Das ist total schade, denn wir reißen doch niemandem den Kopf ab!“

Ein bisschen zucke ich dann immer zusammen. Denn erstens hat das Management wahrscheinlich selbst mehr zu dieser Situation beigetragen als die Belegschaft. Zweitens sind sich die Leute im Management dessen häufig nicht bewusst. Und drittens ist das ein offenkundig sehr heikles Thema. Schließlich wird niemand gern mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Doch wie konnte es eigentlich so weit kommen?

Engagement als Indikator für Erfolg

Zur Erklärung hilft ein Blick in die Forschung zur Arbeitszufriedenheit. Deren Ergebnisse sind nämlich komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung besteht nämlich nur ein minimaler Zusammenhang, und das ist merkwürdig. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen.

Heerscharen von Beratungen, Motivationsgurus und Tschakka-Leuten erzählen von der Kraft der positiven Psychologie, den Wonnen von New Work und den Früchten von Flow – und dann soll das alles irgendwie vollkommen nutzlos sein? Ja und nein. Es lohnt sich der Blick auf ein anderes Konstrukt: Engagement. Arbeitszufriedenheit mag nicht eng mit Arbeitsleistung zusammenhängen, aber Engagement ist im Gegensatz dazu ein ganz ausgezeichneter Indikator für Erfolg. Die Erklärung dafür? Die Forschung hat sich lange Zeit schwergetan, diesen widersprüchlich erscheinenden Befund zu ergründen.

Mittlerweile wissen wir mithilfe eines Ausfluges in die Stresstheorie aber ganz ordentlich Bescheid. Stress ist das Ergebnis eines zweistufigen Bewertungsprozesses. Im ersten Schritt wird überprüft, ob es eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. Entscheidend für die Entstehung von Stress ist jedoch erst die zweite Bewertung: Kann ich die Lücke schließen? Verfüge ich über Situationskontrolle? Oder stehe ich dem Problem vollkommen hilflos gegenüber? 

Die vier Formen der Arbeitszufriedenheit

1.) Stabilisierte Zufriedenheit

Wenn die aktuelle Situation im Job wunderbar zu den eigenen Erwartungen passt, fällt die Antwort positiv aus. Es liegt eine stabilisierte Zufriedenheit vor. Alles ist in bester Ordnung: Die Person ist zufrieden und zeigt das durch viel Engagement. Stabil zufriedene MitarbeiterInnen bilden das Rückgrat des Unternehmens und tragen in außerordentlichem Maße zur organisationalen Effizienz bei. Wenn es irgendwo klemmt und dringend ist, werden es mit hoher Wahrscheinlichkeit genau die stabil Zufriedenen sein, auf die sich ein Unternehmen verlassen kann. Sie zeigen ein hohes Engagement auch in solchen Situationen, in denen sie eigentlich gar nicht zwingend zuständig wären. Sie erkennen Arbeit und helfen eigeninitiativ dort aus, wo es notwendig ist. Es sind die stabil Zufriedenen, die auch dann einspringen, wenn einmal ein Wochenende geopfert werden muss, weil ihnen ihre Arbeit gefällt und sie exakt das tun, was sie auch tun wollen.

2.) Konstruktive Unzufriedenheit

Nun ist das Leben kein Wunschkonzert, manchmal ziehen Wolken auf und es klafft eine Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dann kommt es zur entscheidenden zweiten Bewertung: Kann ich die Dinge ändern, die mir stinken? Ja oder nein? Wenn ich glaube, mein eigenes Schicksal beeinflussen zu können, dann nehme ich mein Herz in die Hand und laufe los. Heraus kommt die konstruktive Unzufriedenheit. Wenn man solche Leute nach ihrer Zufriedenheit fragt, folgt eine negative Antwort, wie „Ich bin mit meiner Arbeit nicht zufrieden, weil mich XY ärgert. Ich glaube aber, dass sich in Zukunft einige dieser Punkte ändern.“ Das sind die im Titel erwähnten Meckerköppe.

Natürlich gehen diese Leute der Chefetage in dem Moment auf die Nerven. Natürlich hat „eigentlich“ niemand die Zeit dafür. Und natürlich kommen derlei Einwände immer zur Unzeit. Dennoch sollte man tunlichst zuhören, Aufmerksamkeit schenken, an Lösungen denken. Konstruktive Unzufriedenheit ist nämlich keineswegs schlecht, sondern im Gegenteil oft ein sehr gutes Zeichen. Und das ist der springende Punkt: Konstruktiv unzufriedene MitarbeiterInnen versuchen, aktiv etwas an ihrer Situation zu verändern. Sie äußern nicht nur, was ihnen nicht passt, sondern kommen mit Vorschlägen, wie diese gelöst werden können. Sie entwickeln Ideen für andere Vorgehensweisen. Sie sind kreativ, um Lösungen zu finden, die sowohl dem Unternehmen, als auch ihnen selbst weiterhelfen. Konstruktiv unzufriedene MitarbeiterInnen sind zwar (wenig überraschend) unzufrieden, aber sie engagieren sich außerordentlich stark und sind ein entscheidender Faktor organisationaler Innovation. Während also die stabil Zufriedenen für die Effizienz sorgen, sind die konstruktiv Unzufriedenen für die Innovation und Veränderung im Unternehmen wichtig.

3.) Fixierte Unzufriedenheit

Nun bleiben konstruktiv unzufriedene Menschen nicht endlos in diesem Stadium. Sie erwarten nicht, dass sich alles nach ihren Erwartungen ändert. Aber sie erwarten, dass ihnen zugehört wird, dass ein Bemühen erkennbar ist, dass es eine generelle Zugewandtheit gibt. Die Psychologie nennt das „Voice“. Nach erfolglosen Änderungsversuchen hinterfragen konstruktiv Unzufriedene jedenfalls sich und ihre Umgebung. Wenn die ergriffenen Strategien zur Veränderung der Situation auf Dauer wirkungslos bleiben, die eigene Stimme verhallt und die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nach wie vor existiert, wird irgendwann die zweite Bewertung anders ausfallen. Dann erscheint es als unrealistisch, dass man die Situation selbst verändern kann. Die Einschätzung, man verfüge über Situationskontrolle, wird revidiert. Was bleibt, ist ein Gefühl der Ohnmacht. Das Ergebnis? Eine Fluchtreaktion, die entweder objektiv oder subjektiv ausfallen kann.

Ein Mensch, der die eigene Situation als schlecht und nicht veränderbar wahrnimmt, kann einerseits objektiv in die fixierte Unzufriedenheit fliehen. Dieser Zustand ist gekennzeichnet durch klar nach außen getragenen Unmut, durch „Dienst nach Vorschrift“ und durch ein erheblich reduziertes Engagement. Von fixiert Unzufriedenen ist nur noch wenig zu erwarten. Die Arbeitsleistung bricht massiv ein, da mehr oder weniger offen mit der eigenen Tätigkeit abgeschlossen wurde. Alternativen werden erwogen oder es vollzieht sich ein Rückzug in die innere Kündigung. Warum sich Menschen in einer solchen Lebenslage häufiger im öffentlichen Dienst als in der Privatwirtschaft finden, können wir gerne an anderer Stelle klären. Zu bedauern ist so etwas aber in jedem Fall und alle Beteiligten verlieren.

4.) Resignative Zufriedenheit

Der andere Umgang mit einer als defizitär, aber unveränderlich wahrgenommenen Situation besteht in einer subjektiven Flucht, also darin, sich die Situation „schönzureden“. Im Fachjargon nennt sich das dann etwas sehr hochgestochen „intrapsychische Anpassung zur Reduktion kognitiver Dissonanz“. Das ist die resignative Zufriedenheit, und die ist aus allen Perspektiven extrem ungünstig. Moment. Resignative ZUFRIEDENHEIT? Ja genau. Zufriedenheit. Stellt Euch vor, Ihr würdet Euch eigentlich diverse Veränderungen wünschen, da zwischen der aktuellen Lage der Dinge und dem, wie Ihr sie Euch eigentlich wünscht, erhebliche Lücken klaffen. Dummerweise könnt Ihr aber nichts ändern, um zu einer Verbesserung beizutragen. Und entfliehen könnt Ihr mangels Alternativen auch nicht.

Ihr seid gefangen, kommt nicht raus und verfügt über keinerlei Situationskontrolle. Das ist sehr misslich und erfordert eine Reaktion. Deshalb fangen diese Menschen damit an, die eigene Wahrnehmung zu manipulieren. Eine derartige Manipulation kann auf zwei Wegen erfolgen. Erstens, indem die eigene IST-Situation in einem günstigeren Licht dargestellt wird: „Natürlich ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Meine KollegInnen sind aber ganz nett, das Gehalt wird pünktlich überwiesen, ich bin in dem neuen Vertriebsgremium vertreten und darf in drei Wochen an einer Konferenz teilnehmen. Und obwohl ich immer noch keine Budgetverantwortung trage, darf ich doch immerhin ein paar kleinere Dinge entscheiden. Das ist doch für den Anfang eigentlich gar nicht mal so schlecht.“

Das Prinzip ist also, die positiven Aspekte ein bisschen aufzubauschen und die negativen herunterzuspielen. So wird die gegenwärtige Situation künstlich besser dargestellt, als sie in der „unverfälschten“ Wahrnehmung eigentlich ist. Als Resultat wird die die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit etwas kleiner, der Veränderungsbedarf erscheint weniger dringlich und dramatisch.

Der alternative – oder auch parallele – Weg besteht darin, das SOLL künstlich herunterzuspielen. Das klingt dann vielleicht so: „Ich sollte froh sein, dass ich in der aktuellen Pandemie/Finanzkrise/Katastrophe überhaupt einen Job habe. Schließlich wären die meisten Leute froh, wenn sie in meiner Situation sein dürften. Ich muss echt mal die Kirche im Dorf lassen. Außerdem darf ich einfach nicht erwarten, nach nur drei Jahren schon wieder befördert zu werden. Der Kollege in der Nachbarabteilung wartet schon erheblich länger. Es ist ja auch gar nicht alles schlecht an der Firma. Unsere Produkte sind ganz interessant, ich habe ausreichend viel Urlaub und der Arbeitsweg hält sich in Grenzen.“ Unerwähnt bleiben dann das zu niedrige Gehalt, der grauenhafte Chef, die fehlenden Karrieremöglichkeiten, die monotone Tätigkeit oder dergleichen mehr. 

Die resignative Arbeitszufriedenheit beinhaltet also im Kern eine Selbstillusion, denn man redet sich die Situation künstlich aus zwei Seiten schön: Das SOLL wird heruntergeschraubt und das IST wird gleichzeitig überhöht, bis im Ergebnis die vormalige SOLL-IST-Differenz auf wundersame Weise zusammengeschmolzen ist. Löst das jedoch die Probleme? Nein, keineswegs. Und darin liegt die Crux. Fragt man eine solche Person, wie zufrieden sie mit der Arbeit ist, so erhält man ein wenig begeistertes, aber nichtsdestotrotz klar positives Signal: „Ja, danke der Nachfrage, ich bin mit meinem Job sehr zufrieden, alles gut.“ Dennoch nagt aber die Unzufriedenheit just außerhalb der Reichweite des kunstvollen Selbstbetrugs. Das kostet Zeit und Nerven, denn es muss ein gehöriges Maß Energie darauf verwendet werden, sich in der selbstkonstruierten Wohlfühloase auch weiterhin einzurichten. Jeden Tag aufs Neue. Immer und immer wieder. Resignativ zufriedene MitarbeiterInnen zeigen ein deutlich reduziertes Engagement, sind häufiger krank und leisten weniger. Damit ist niemandem gedient. Den Leuten nicht, weil die eigene Situation bei ungelösten Problemen einfach nur umgedeutet wurde und deshalb eigentlich weiterhin deprimierend ist. Und der Firma auch nicht, denn sie hat eine Arbeitskraft, die weit unter den eigenen Möglichkeiten bleibt und seltsam gedämpft am Arbeitsplatz wirkt.

Unzufriedenheit macht zukunftsfähig

Angesichts dieser vier ganz unterschiedlichen Formen der Arbeitszufriedenheit ist es wenig überraschend, dass sich empirisch kein bedeutsamer Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung feststellen lässt, obwohl Engagement und Arbeitsleistung sehr wohl eng korrelieren. Es sind die stabil Zufriedenen sowie die konstruktiv Unzufriedenen, die über ihr großes Engagement für die Effizienz und Innovationskraft einer Firma maßgeblich verantwortlich sind. Und es sind die fixiert Unzufriedenen sowie die resignativ Zufriedenen, die über ihr deutlich reduziertes Engagement erheblich wenig Mehrwert generieren und das Unternehmen lähmen.

Deshalb wird aber auch klar, weshalb wir die Meckerköppe durchaus wertschätzen sollten und ein Umdenken stattfinden muss. Obwohl sie unbequem sind. Obwohl sie nerven. Obwohl es gerade nicht passt. Unterm Stricht sind sie es, die uns zur Zukunftsfähigkeit verhelfen.

Daher drei Tipps für eine konstruktive Konfliktkultur

  1. Ein gesundes Maß an Sachkonflikten ist nachweislich positiv mit allen möglichen positiven Effekten verbunden. Meistens zeigt sich dabei eine umgekehrt U-förmige Beziehung. Reibung ist gut. Grabesruhe ist schlecht, komplettes Chaos auch. Gebt den Meckerköppen eine Chance.
  2. Achtet darauf, dass es um die Sache geht und nehmt nichts persönlich. Sachkonflikte sind solche, wo Ihr inhaltlich unterschiedliche Meinungen vertretet. Dabei besteht immer die Gefahr einer Eskalation. Ein Wort ergibt das andere und los geht die Party. Solche emotionalen Beziehungskonflikte sind aber immer eine sehr schlechte Idee. Klärt emotionale Konflikte möglichst freundlich und direkt, um auf die Sachebene zurückzufinden. Holt also die Meckerköppe von der Palme und klettert nicht selbst mit hinauf.
  3. Hört genau hin. Nehmt Euch die Zeit. Bedankt Euch für Kritik. Wenn Leute sich Euch gegenüber kritisch mitteilen, ist das ein gutes Zeichen und kein schlechtes. Niemand wird erwarten, dass Ihr alle Dinge sofort erfüllen könnt. Aber gebt Euch Mühe. Dankt den Meckerköppen ehrlich für das Feedback und erklärt Ihnen, dass dadurch auf Dauer alle gewinnen.

Denn wenn die konstruktiv Unzufriedenen verstummen, wird es dunkel.

Literatur

De Dreu, C. K. (2006). When too little or too much hurts: Evidence for a curvilinear relationship between task conflict and innovation in teams. Journal of Management, 32(1), 83-107.

Lanwehr, R., Staar, H., & Voelpel, S. C. (2017). Spielfeld Arbeitsplatz: Managementwissen mit Kick. Für Führungskräfte und engagierte Mitarbeiter, 2. Auflage. John Wiley & Sons.

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