Durchimpfen, losschimpfen, verunglimpfen – Narzissmus und die Psychologie von Corona

11.02.2022 | Allgemein | 0 Kommentare

Teil 1: Die dunkle Triade und Corona

Es bildet sich ein zunehmender gesellschaftlicher Graben. Eine wichtige Trennlinie verläuft zwischen Geimpften und Ungeimpften. In meinen Augen ist eine deutlich höhere Inzidenz von Ungeimpften im Vergleich zu Geimpften durchaus Grund genug, mich im Interesse meiner Mitmenschen impfen zu lassen. Aber gut. Das haben hinreichend Menschen mit besserer Medizinkenntnis und überlegener Rhetorik erfolglos zu erklären versucht.

Was in den mir bekannten Betrachtungen jedoch fehlt, ist eine dezidiert psychologische Perspektive. Und die ist wichtig aus vielen Gründen. Ich konzentriere mich an dieser Stelle mal auf drei Aspekte: erstens in diesem Beitrag auf die dunkle Triade bestehend aus Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus. Zweitens und im nächsten Blogbeitrag auf die Wahrnehmung von Fairness, welche uns von der Seite in ungünstiger Weise hereinregnet. Drittens im abschließenden Teil dann um Wahrnehmungsverzerrungen.

Was ist die dunkle Triade überhaupt?

Die dunkle Triade besteht aus den Persönlichkeitseigenschaften Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus. Wir alle tragen Elemente dieser negativen Eigenschaften ins uns, aber besonders hohe Ausprägungen gehen mit unangenehmen Konsequenzen einher. Menschen mit hohen Narzissmuswerten halten sich für etwas Besseres. Sie geben sich besonders pompös, dominant, selbstsicher und überlegen. Machiavellistische Menschen handeln nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“. Sie betrachten zwischenmenschliche Manipulation als Schlüssel zum Erfolg und agieren entsprechend egoistisch, kalt und amoralisch. Mit zunehmender Psychopathie hingegen nimmt man andere Menschen vor allem als Objekt wahr. Es fehlt an Empathie und entsprechend neigen diese Leute zu Rücksichtslosigkeit, Kaltblütigkeit und Impulsivität.

Es wurde in letzter Zeit besonders viel gesprochen über Narzissmus, bezogen auf die Wirtschaft nicht zuletzt dank der tollen Beiträge von Florian Feltes u.a. im Harvard Business Manager [1]. Aber an der generell gestiegenen Aufmerksamkeit für die dunkle Triade hat sicherlich auch Herr Trump einen gewissen Anteil [2].

Was hat das mit der aktuellen Pandemie zu tun? CoVid, Verschwörungstheorien und Esoterik wirken wie Fliegenfallen für Menschen mit hohen Ausprägungen der dunklen Triade. Die Flut an Menschen, die sich beispielsweise mit ebenso unsinnigen wie anmaßenden und pompösen Widerstandsgesten inszenieren, reißt nicht ab. Sascha Lobo hat u.a. dazu im Spiegel eine sehr treffende Kolumne mit dem Titel „Willkommen im Wellness-Widerstand“ verfasst [3]. Doch obwohl mir der Artikel aus dem Herzen spricht, fehlt auch bei Lobo ein wichtiges Thema. Denn die dunkle Triade wirkt auf vier Ebenen in ungünstiger Weise [4], [5], [6]:

  • Impfverweigerung, Glaube an Verschwörungstheorien und Esoterik sind wunderbare Gelegenheiten, um sich von anderen Menschen abzusetzen und sich über sie zu erheben. Das funktioniert wie ein Turbolader für die dunkle Triade. Man hat ein Geheimwissen, kann den Rest als unwissende Lemminge abkanzeln und es sich hernach in der eigenen Blase von oben herab gemütlich einrichten. Das sind wesentliche Gründe, weshalb sich so viele Menschen rund um Querdenken, Verschwörungstheorien und Esoterik tummeln. Hinzu kommt noch die ausgesprochen geringe Empathie, die mit hohen Ausprägungen der dunklen Triade einhergeht. Das hilft auch nicht gerade bei der Impfquote.
  • Menschen mit hohen Ausprägungen der dunklen Triade neigen außerdem dazu, die eigene Edelmütigkeit mit einer Opferpose zu verbinden. Die Amis nennen das „virtuous victimhood“. Im Ergebnis führt das zu so unsäglichen Verfolgungsnarrativen wie dem Vergleich des eigenen Schicksals mit Opfern des Nationalsozialismus (inklusive der entsprechenden Symbolik, also Judensterne etc.).
  • Viele Menschen mit der dunklen Triade sind ausgesprochen charismatisch und wirken entsprechend überzeugend. NarzisstInnen über das ausgestrahlte Selbstvertrauen und das grandiose Gehabe, PsychopathInnen über die beeindruckende Kühnheit des Handelns. Beides ist bei gesellschaftlich schädlichen Themen natürlich blöd, weil sich die Problematik dadurch schneller weiterträgt und verschärft. Charisma ist nun einmal das beste Rezept für die Beeinflussung des Verhaltens anderer Menschen im eigenen Interesse.
  • Kollektiver Narzissmus ist die Überzeugung, dass die eigene Gruppe eine Ausnahme darstellt, Anspruch auf eine privilegierte Behandlung hat und von anderen nicht ausreichend anerkannt wird. EIGENTLICH müsste sich das positiv auf die Bereitschaft zu einem prosozialen Verhalten wie Impfen auswirken. Tut es aber nicht. Das liegt daran, dass sich kollektiver Narzissmus aggressiv und in negativer Weise nach außen, aber zugleich nicht positiv, etwa über Dankbarkeit oder prosoziale Emotionen, nach innen richtet. Nunja, und dadurch erklären sich auch die rechtsextremen Bezüge auf einmal viel besser und organischer.

Der sächsische Sonderfall

Wenn man bei diesem Thema und vor diesem Hintergrund in das besonders widerspenstige Sachsen schaut, ergibt sich eine zusätzliche Problematik. Schauen wir uns ein Zitat aus dem Spiegel [7] an:

Aber es gibt eine hausgemachte Besonderheit. Sozialforscher sprechen von »sächsischem Exzeptionalismus«. Mit dieser Idee einer sächsischen Überlegenheit versuchen CDU-Ministerpräsidenten seit Kurt Biedenkopf, kollektive Identität zu stiften, indem sie regionalen Erfindergeist und Pisa-Erfolge überhöhen oder gar eine Immunität der Sachsen gegen Rechtsextremismus behaupten, wie das Kurt Biedenkopf tat. Heimat, Herkunft, Stolz – das soll bis heute der Kitt für gesellschaftlichen Zusammenhalt sein.

Durch diese Strategie wird systematisch ein kollektiver Narzissmus verankert und kultiviert. Das wirkt wie ein Brandbeschleuniger für problematische Entwicklungen und äußert sich in einer umso aggressiveren Abgrenzung nach außen.

Zu allem Überfluss handelt es sich bei pathologischen Ausprägungen der dunklen Triade und den entsprechenden Persönlichkeitsstörungen (dissozial, narzisstisch, histrionisch) auch noch um sogenannte „ich-syntone“ Phänomene. Das bedeutet, dass sich die betroffenen Menschen selbst gar nicht als krank wahrnehmen und entsprechende Hinweise empört von sich weisen. „Ich bin halt so.“

Was nun?

Wir haben es in Summe also mit einem Phänomen zu tun,

  • dessen sich die Leute nicht bewusst sind
  • das in strittigen Fragen besonders gehäuft auftritt
  • welches dann wie ein Brandbeschleuniger wirkt
  • und das sich aggressiv nach außen richtet.

Super, ne? Was kann man hier machen? Das ist der schwierige Teil. Freundlich lächeln, großräumig umschiffen und demokratisch legitimiert agieren. Vor allem aber keine zusätzliche Aufmerksamkeit schenken, denn das ist ein Fass ohne Boden. Viel mehr ist aus meiner Sicht nicht drin und das ist selbstredend ausgesprochen dünn, wenn zugleich eine Konzentration auf die Aufrechterhaltung von Dialogoptionen wichtig wäre. In diesem Dilemma befinden wir uns. Das macht die Auflösung so schwierig. Erschwerend kommt hinzu, dass sich andere psychologische Phänomene in ganz ähnlicher Weise auswirken und sich die Effekte gegenseitig hochschaukeln. Autsch. Aber darüber reden wir als nächstes im zweiten Teil, in dem es um den Zusammenhang von Gerechtigkeitsempfinden und Phänomenen rund um Corona geht.

Habt Ihr Erfahrungen mit der dunklen Triade im Rahmen von Corona gemacht? Passt das hier dazu oder seid Ihr zu anderen Ergebnisse gelangt?

Endnoten:

[1] https://www.manager-magazin.de/harvard/fuehrung/narzissmus-in-deutschen-fuehrungsetagen-die-jungbullen-kommen-a-0ee3251e-0002-0001-0000-000177064950

[2] Golec de Zavala, A., & Federico, C. M. (2018). Collective narcissism and the growth of conspiracy thinking over the course of the 2016 United States presidential election: A longitudinal analysis. European Journal of Social Psychology, 48(7), 1011-1018.

[3] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-willkommen-im-weinerlichen-wellness-widerstand-kolumne-von-sascha-lobo-a-12e8d541-5ff2-4e6a-994f-872a1776ac4c

[4] Federico, C. M., de Zavala, A. G., & Baran, T. (2021). Collective Narcissism, In-Group Satisfaction, and Solidarity in the Face of COVID-19. Social Psychological and Personality Science, 12(6), 1071–1081.

[5] Ok, E., Qian, Y., Strejcek, B., & Aquino, K. (2021). Signaling virtuous victimhood as indicators of Dark Triad personalities. Journal of personality and social psychology, 120(6), 1634.

[6] Nowak, B., Brzóska, P., Piotrowski, J., Sedikides, C., Żemojtel-Piotrowska, M., & Jonason, P. K. (2020). Adaptive and maladaptive behavior during the COVID-19 pandemic: The roles of Dark Triad traits, collective narcissism, and health beliefs. Personality and Individual Differences, 167, 110232.

[7] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-sachsens-sonderweg-in-die-sackgasse-a-9cb7cbc2-d7bc-448c-b3c5-363bbc5f6b36?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ

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